Rauriser Literaturpreis 2020
Angela Lehner
Den Rauriser Literaturpreis 2020 (vergeben vom Land Salzburg, dotiert mit EUR 10.000,-) erhält Angela Lehner für ihr Romandebüt „Vater unser“ (Hanser Berlin 2019).
Begründung der Jury (Lucas Marco Gisi, Evelyne Polt-Heinzl, Wiebke Porombka):
Angela Lehners Debütroman „Vater unser“ beginnt wie eine Variation auf das Genre Psychiatrie-Roman, doch rasch entfaltet die souverän geführte Erzählstimme einen ganz eigenen Sog. Dabei ist die Hauptfigur Eva Gruber alles andere als eine zuverlässige Instanz. Sicher ist zunächst einmal nur ihre Einlieferung in die geschlossene Anstalt am Wiener Steinhof. Dass der Grund dafür ein Amoklauf in einem Kindergarten war, steht hingegen am Anfang der vielen Lügen, mit denen sich die junge Frau eine eigene Realität zusammenstellt. […]
Dass ihre Version der Ereignisse sich nicht mit jener der Menschen rund um sie deckt, nutzt die Autorin für die Relativierung gesellschaftlicher Normalitätsvorstellungen und psychiatrischer Zuweisungen genauso wie zur Charakterzeichnung ihrer so aufmüpfigen wie gewitzten Hauptfigur, die ihre Umwelt gnadenlos beobachtet und die eigenen Ziele rücksichtslos verfolgt. Dass das erzähltechnisch bruchlos gelingt, liegt auch daran, dass Angela Lehner ihre Figur mit einer keck-schroffen, nie überstilisierten Sprache aus ihrer sehr speziellen Weltwahrnehmung heraus berichten lässt.
„Vater unser“ fordert mit seinen schwebenden Realitätsvalenzen nicht nur zu einer zweiten Lektüre heraus, das Buch gewinnt dabei an Schärfe und Kontur. Das aber kommt – keineswegs nur bei Debüts – gar nicht allzu häufig vor.